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Kanonische Transformationen

Published onJul 28, 2024
Kanonische Transformationen
·

Abstract

In der Hamilton-Mechanik steht man häufig vor folgendem Problem: Gibt es einen Satz von (verallgemeinerten) Koordinaten und (dazu kanonisch konjugierten) Impulsen, bezüglich derer die Hamilton-Gleichungen eine möglichst einfache Form annehmen? Und wenn ja, gibt es eine Möglichkeit diese Koordinaten und Impulse nicht bloß zu erraten, sondern systematisch zu konstruieren? Mit dem Konzept der kanonischen Transformationen will man darauf eine Antwort finden. Die Transformation zu solchen neuen Phasenraum-Koordinaten1 darf die zugrundeliegende Lagrange-Funktion natürlich nicht ändern; daher das Wort kanonisch, was soviel wie “regelgerecht” bedeutet.

Was sind kanonische Transformationen?

Ein mechanisches System mit ff Freiheitsgraden und einer Koordinatenwahl qiq_i ist definiert durch seine Lagrange-Funktion L(qi,q˙i,t)L(q_i,\dot{q}_i,t). Mithilfe der kanonischen Impulse

pi:=Lq˙i,i=1,,f(1)p_i := \frac{\partial L}{\partial\dot{q}_i},\quad i=1,\dots,f \tag{1}

lässt sich über eine Legendre-Transformation von der Lagrange- zur Hamilton-Funktion wechseln:

H(q,p,t)=piqi˙(pi)L(q,q˙(pi),t),(2)H(q, p, t) = p_i \dot{q_i}(p_i) - L(q, \dot{q}(p_i), t), \tag{2}

woraus sich aus den Euler-Lagrange-Gleichungen

ddtLq˙iLqi=0.(3)\frac{\mathrm{d}}{\mathrm{d}t}\frac{\partial L}{\partial\dot{q}_i} - \frac{\partial L}{\partial q_i} = 0. \tag{3}

die Hamiltonschen Bewegungsgleichungen ergeben:

qi˙=+Hpi,pi˙=Hqi.(4)\dot{q_i} = +\frac{\partial H}{\partial p_i}, \quad\dot{p_i} = - \frac{\partial H}{\partial q_i}. \tag{4}

Die Wirkung SS, die als Zeitintegral der Lagrange-Funktion definiert ist, lässt sich als Funktion des Phasenraums auffassen, der von den verallgemeinerten Koordinaten qq und den kanonisch konjugierten Impulsen pp aufgespannt wird:

S(q,p)=t0t1dtL(q,q˙,t)=t0t1dt[piqi˙H(q,p,t)](5)S(q,p) = \int_{t_0}^{t_1}\mathrm{d}t\: L(q, \dot{q}, t) = \int_{t_0}^{t_1}\mathrm{d}t\: [p_i \dot{q_i} - H(q,p,t)] \tag{5}

Mit dieser Wirkung kann man das Hamilton-Wirkungsprinzip formulieren:

0=δS[q,p]=δt0t1dt[piqi˙H(q,p,t)](6)0 = \delta S[q,p] = \delta \int_{t_0}^{t_1}\mathrm{d}t\: [p_i \dot{q_i} - H(q,p,t)] \tag{6}

das aussagt, dass mechanische Systeme Bahnen im Phasenraum folgen, längs derer die Wirkung extremal wird, d.h. δS=0\delta S = 0.

Weil Lagrange- und Hamilton-Gleichungen beide völlig unabhängig von der konkreten Koordinatenwahl gelten, ist es jederzeit möglich zu anderen Koordinaten Qi(q1,,qf,t)Q_i(q_1,\dots,q_f,t) zu wechseln. Um zu gewährleisten, dass die diese Transformation umkehrbar ist, darf die Funktionaldeterminante nicht verschwinden,

det((Q1,,Qf)(q1,,qf))0.(7)\mathrm{det}\left(\frac{\partial (Q_1,\dots,Q_f)}{\partial (q_1,\dots,q_f)}\right) \neq 0. \tag{7}

Der Übergang zu neuen verallgemeinerten Koordinaten QiQ_i erzeugt nur eine lineare Transformation der dazu konjugierten Impulse:

Pj=LQj˙=Lqk˙qk˙Qj˙=ajkpk,ajk:=qk˙Qj˙.(8)P_j = \frac{\partial L}{\partial \dot{Q_j}} = \frac{\partial L}{\partial \dot{q_k}} \frac{\partial \dot{q_k}}{\partial \dot{Q_j}} = a_{jk} p_k,\quad a_{jk} := \frac{\partial \dot{q_k}}{\partial \dot{Q_j}}. \tag{8}

Diese Transformation der verallgemeinerten Koordinaten qq ist ein erstes Beispiel für kanonische Transformationen, da sich bei dieser Transformation die Hamilton-Gleichungen in ihrer Form nicht ändern.

Tatsächlich lässt eine erheblich größere Klasse von Transformationen

Qi=Qi(q,p,t),Pi=Pi(p,q,t)(9)Q_i = Q_i(q, p, t),\quad P_i = P_i(p, q, t) \tag{9}

die Hamilton-Gleichungen Gl. 4 invariant. Um das zu zeigen, wollen wir folgende Annahme machen: Es möge auf dem erweiterten Phasenraum eine Funktion Φ(q,p,t)\Phi(q, p, t) geben, so dass sich der Integrand in Gl. 5 auf folgende Weise verändert:

piqi˙H(q,p,t)=PiQi˙K(Q,P,t)+dΦdt.(10)p_i \dot{q_i} - H(q, p, t) = P_i \dot{Q_i} - K(Q, P, t) + \frac{\mathrm{d} \Phi}{\mathrm{d}t}. \tag{10}

Zwar nimmt die Hamilton-Funktion2 dadurch eine neue Form KK an, allerdings bleibt die Wirkung invariant, weil sich Gl. 10 nur um eine totale Zeitableitung ändert. Transformationen, für die Gl. 10 gilt, bezeichnen wir im Folgenden als “kanonisch”.

Analog zu Gl. 4 gelten auch für QiQ_i und PiP_i entsprechende Hamilton-Gleichungen

Qi˙=K(Q,P,t)Pi,Pi˙=K(Q,P,t)Qi(11)\dot{Q_i} = \frac{\partial K(Q, P, t)}{\partial P_i}, \quad\dot{P_i} = - \frac{\partial K(Q, P, t)}{\partial Q_i} \tag{11}

Eine sehr nützliche Transformation ist die sogenannte “Transformation auf Ruhe”, bei die neue Hamilton-Funktion verschwindet und deshalb

Qi˙=0=Pi˙(12)\dot{Q_i} = 0 = \dot{P_i} \tag{12}

gilt. Diese “mitbewegten Phasenraum-Koordinaten” erfüllen definitionsgemäß Gl. 12.

Systematische Konstruktion

Zur systematischen Konstruktion von kanonischen Transformationen nehmen wir zunächst eine beliebige Funktion Φ(q,Q,t)\Phi(q, Q, t), die außer von den ff verallgemeinerten Koordinaten qiq_i auch von weiteren ff Parametern QiQ_i und von der Zeit tt abhängen soll, und zusätzlich

det(2ΦqiQj)0(13)\det\left(\frac{\partial ^2 \Phi}{\partial q_i \partial Q_j}\right) \neq 0 \tag{13}

erfüllt, sodass Φ\Phi invertierbar ist.

Wir wollen nun folgende Behauptung aufstellen: Eine durch die Funktion Φ(q,Q,t)\Phi(q,Q,t) erzeugte Transformation sei kanonisch, falls:

pj=Φqj,Pj=ΦQj.(14)p_j = \frac{\partial \Phi}{\partial q_j},\quad P_j = - \frac{\partial \Phi}{\partial Q_j}. \tag{14}

Wegen Gl. 14 gilt zunächst

dΦdt=Φt+Φqiqi˙+ΦQiQi˙=Φt+piqi˙PiQi˙.(15)\begin{align} \frac{\mathrm{d}\Phi}{\mathrm{d}t} &= \frac{\partial \Phi}{\partial t} + \frac{\partial \Phi}{\partial q_i} \dot{q_i} + \frac{\partial \Phi}{\partial Q_i} \dot{Q_i} \\ &= \frac{\partial \Phi}{\partial t} + p_i \dot{q_i} - P_i \dot{Q_i}. \end{align} \tag{15}

Damit lässt sich der Integrand in Gl. 5 umformen:

piqi˙H=PiQi˙(H+Φt)+dΦdt(16)p_i \dot{q_i} - H = P_i \dot{Q_i} - \left(H + \frac{\partial \Phi}{\partial t}\right) + \frac{\mathrm{d} \Phi}{\mathrm{d}t} \tag{16}

Nach der Definition in Gl. 10 ist Gl. 16 kanonisch, wenn man die Hamilton-Funktion um eine partielle Zeitableitung von Φ\Phi ergänzt:

K(Q,P,t)=H(q(Q,P),p(Q,P),t)+Φt.(17)K(Q, P, t) = H\big(q(Q,P), p(Q,P), t\big) + \frac{\partial \Phi}{\partial t}. \tag{17}

Dabei heißt Φ\Phi auch die erzeugende Funktion der Transformation.

Die Zuordnung in Gl. 14 ist allerdings nicht die einzige Möglichkeit. Auch Φ2(q,P,t)\Phi_2(q, P, t) liefert mit der Zuordnung

pi=Φ2qi,Qi=Φ2Pi(18)p_i = \frac{\partial \Phi_2}{\partial q_i},\quad Q_i = \frac{\partial \Phi_2}{\partial P_i} \tag{18}

eine erzeugende Funktion. Für die totale Zeitableitung von Φ2\Phi_2 gilt:

dΦ2dt=Φ2t+Φ2qiqi˙+Φ2PiPi˙=Φ2t+piqi˙+QiPi˙=Φ2t+piqi˙+ddt(QiPi)PiQi˙(19)\begin{align} \frac{\mathrm{d}\Phi_2}{\mathrm{d}t} &= \frac{\partial \Phi_2}{\partial t} + \frac{\partial \Phi_2}{\partial q_i} \dot{q_i} + \frac{\partial \Phi_2}{\partial P_i} \dot{P_i} \\ &= \frac{\partial \Phi_2}{\partial t} + p_i \dot{q_i} + Q_i \dot{P_i} \\ &= \frac{\partial \Phi_2}{\partial t} + p_i \dot{q_i} + \frac{\mathrm{d}}{\mathrm{d}t} (Q_i P_i) - P_i \dot{Q_i} \end{align} \tag{19}

Analog zu Gl. 16 lässt sich auch hier der Integrand in Gl. 5 umformen:

piqi˙H=PiQi˙(H+Φ2t)+d(Φ2QiPi)dt.(20)p_i \dot{q_i} - H = P_i \dot{Q_i} - \left(H + \frac{\partial \Phi_2}{\partial t}\right) + \frac{\mathrm{d} (\Phi_2 - Q_i P_i)}{\mathrm{d}t}. \tag{20}

Weil sich Gl. 20 wieder nur um eine totale Zeitableitung geändert hat, ist damit eine erzeugende Funktion gefunden.

Je nach Kombination von (qi,pi)(q_i,p_i) mit (Qi,Pi)(Q_i,P_i) gibt es genau vier mögliche Klassen von erzeugenden Funktionen:

Φ1(q,Q,t):pi=Φ1qi,Pi=Φ1QiΦ2(q,P,t):pi=Φ2qi,Qi=Φ2PiΦ3(p,Q,t):qi=Φ3pi,Pi=Φ3QiΦ4(p,P,t):qi=Φ4pi,Qi=Φ4Pi(21)\begin{align} \Phi_1(q, Q, t): \qquad && p_i &= \frac{\partial \Phi_1}{\partial q_i}, \qquad && P_i &&= - \frac{\partial \Phi_1}{\partial Q_i} \\ \Phi_2(q, P, t): \qquad && p_i &= \frac{\partial \Phi_2}{\partial q_i}, \qquad && Q_i &&= \frac{\partial \Phi_2}{\partial P_i} \\ \Phi_3(p, Q, t): \qquad && q_i &= - \frac{\partial \Phi_3}{\partial p_i}, \qquad && P_i &&= - \frac{\partial \Phi_3}{\partial Q_i} \\ \Phi_4(p, P, t): \qquad && q_i &= - \frac{\partial \Phi_4}{\partial p_i}, \qquad && Q_i &&= \frac{\partial \Phi_4}{\partial P_i} \end{align} \tag{21}

Im Allgemeinen ist der Aufwand eine passende erzeugende Funktion zu finden nicht geringer, als die Bewegungsgleichungen direkt in den ursprünglichen Koordinaten zu lösen. In der Praxis würde man eine Erzeugende einfach raten und anschließend nachrechnen müssen, ob die entsprechende kanonische Transformation eine besonders bemerkenswerte Eigenschaft des Systems widerspiegelt.

Falls die erzeugende Funktion Φ(q,Q,t)\Phi(q, Q, t) die sogenannte Hamilton-Jacobi-Gleichung

H(q,Φq,t)+Φt=0(22)H\left(q, \frac{\partial \Phi}{\partial q}, t\right) + \frac{\partial \Phi}{\partial t} = 0 \tag{22}

erfüllt, verschwindet die Hamilton-Funktion nach derjenigen kanonischen Transformation, die durch Φ\Phi erzeugt wird. Eine kanonische Transformation, deren Erzeugende die Hamilton-Jacobi-Gleichung erfüllt, entspricht mitbewegten Phasenraumkoordinaten. Die transformierten Koordinaten (Qi,Pi)(Q_i, P_i) bleiben dann aufgrund von Gl. 12 allesamt konstant.

Beispiel: Harmonischer Oszillator

Die Lagrange-Funktion für den harmonischen Oszillator lautet:

L=TV=m2q˙2k2q2,(23)L = T - V = \frac{m}{2} \dot{q}^2 - \frac{k}{2} q^2, \tag{23}

wobei ω2=k/m\omega^2=k/m die Schwingungsfrequenz angibt. Mit dem kanonischen Impuls

p=Lq˙=mq˙(24)p = \frac{\partial L}{\partial \dot{q}} = m \dot{q} \tag{24}

folgt für die Hamilton-Funktion

H(q,p)=p22m+m2ω2q2.(25)H(q,p) = \frac{p^2}{2m} + \frac{m}{2} \omega^2 q^2. \tag{25}

Wir betrachten nun diejenige kanonische Transformation, die durch die folgende Funktion erzeugt wird:

Φ(q,Q)=m2ωq2cot(Q).(26)\Phi(q,Q) = \frac{m}{2} \omega q^2 \cot(Q). \tag{26}

Da es sich dabei um eine Erzeugende der ersten Klasse Gl. 21 handelt, gilt für die beiden Impulse

p=Φq=mωqcot(Q),P=ΦQ=m2ωq21sin2(Q).(27)\begin{aligned} p &= \frac{\partial \Phi}{\partial q} = m \omega q \cot(Q), \\ P &= - \frac{\partial \Phi}{\partial Q} = \frac{m}{2} \omega q^2 \frac{1}{\sin^2(Q)}. \end{aligned} \tag{27}

Für die Ortskoordinate gilt also

q=2Pmωsin(Q)(28)q = \sqrt{\frac{2P}{m \omega}} \sin(Q) \tag{28}

und wegen Gl. 27 für den ursprünglichen Impuls:

p=2mωPcos(Q).(29)p = \sqrt{2 m \omega P} \cos(Q). \tag{29}

Weil die erzeugende Funktion Gl. 26 nicht explizit zeitabhängig ist, gilt wegen Gl. 17 für die neue Hamilton-Funktion K=HK=H. Einsetzen von Gl. 28 und Gl. 26 in Gl. 25 liefert

K(Q,P)=ωP.(30)K(Q,P) = \omega P. \tag{30}

Wir erkennen nun, dass die transformierte Hamilton-Funktion KK gar nicht mehr von QQ abhängt; Q ist also offenbar zyklisch3. Nach den Hamilton-Gleichungen Gl. 11 gilt

P˙=KQ=0P=konstantP0,Q˙=KP=ωQ=ωt+Q0.(31)\begin{align} \dot{P} &= - \frac{\partial K}{\partial Q} = 0 && \quad\Longrightarrow\quad & P &= \text{konstant} \equiv P_0, \\ \dot{Q} &= \frac{\partial K}{\partial P} = \omega && \quad\Longrightarrow\quad & Q &= \omega t + Q_0. \end{align} \tag{31}

Die beiden Ausdrücke für QQ und PP können wir nun in Gl. 28 einsetzen und erhalten:

q=2P0mωsin(ωt+Q0).(32)q = \sqrt{\frac{2P_0}{m \omega}} \sin(\omega t + Q_0). \tag{32}

In dieser Gleichung treten die beiden Integrationskonstanten Q0Q_0 und P0P_0 auf. Durch P0P_0 wird die Amplitude der Schwingung festgelegt. Wie wir in Gl. 31 gesehen haben, ist diese für den harmonischen Oszillator konstant. Die Größe QQ legt wiederum die Phase der Schwingung fest. Diese nimmt nach Gl. 31 linear mit der Zeit tt zu: Effektiv zeigt das System in der Koordinate QQ eine inertiale Bewegung!

Viel Lärm um nichts?

Wir haben gesehen, dass Kanonische Transformationen die Hamilton-Gleichungen invariant lassen und wie sich kanonische Transformationen aus einer einzigen Funktion herleiten. Häufig ist allerdings der Aufwand eine passende Funktion zu finden nicht geringer, als die Bewegungsgleichungen direkt in den ursprünglichen Koordinaten zu lösen. Das wirft natürlich die Frage auf, wozu überhaupt nach solchen Funktionen suchen?

Die Antwort auf diese Frage liegt in einem tieferen Verständnis der theoretischen Mechanik. Denn wie sich herausstellen wird, ist die zeitliche Entwicklung des Systems selbst eine kanonische Transformation! Um das zu sehen, wollen wir uns eine zunächst beliebige infinitesimale Transformation anschauen:

qQ=q+εA(q,p),pP=p+εB(q,p),(33)\begin{align} q &\longrightarrow Q = q + \varepsilon A(q,p), \\ p &\longrightarrow P = p + \varepsilon B(q,p), \end{align} \tag{33}

wobei ε\varepsilon infinitesimal sein soll.

Wie wir in einem anderen Artikel [1] sehen konnten, gilt unter anderem für die fundamentalen Poisson-Klammern {Q,P}=1\{Q,P\} = 1, was sich unter einer kanonischen Transformation nicht ändern darf:

{Q,P}=QqPpQpPq=(q+εA)q(p+εB)p=(1+εAq)(1+εBp)=1+ε(Aq+Bp)+ε2(AqBp).(34)\begin{align*} \{Q,P\} &= \frac{\partial Q}{\partial q}\frac{\partial P}{\partial p} - \frac{\partial Q}{\partial p}\frac{\partial P}{\partial q} \\ &= \frac{\partial (q + \varepsilon A)}{\partial q}\frac{\partial (p + \varepsilon B)}{\partial p} \\ &= \left(1+\varepsilon\frac{\partial A}{\partial q}\right)\left(1+\varepsilon\frac{\partial B}{\partial p}\right) \\ &= 1+ \varepsilon\left(\frac{\partial A}{\partial q} + \frac{\partial B}{\partial p}\right) + \varepsilon^2\left(\frac{\partial A}{\partial q}\frac{\partial B}{\partial p}\right). \end{align*} \tag{34}

Für ε1\varepsilon\ll 1 wollen wir Terme proportional zu ε20\varepsilon^2\approx 0 vernachlässigen. Die Transformation ist also genau dann kanonisch, falls es eine Funktion G(q,p)G(q,p) gibt, sodass

A=Gp,B=Gq,(35)A = \frac{\partial G}{\partial p},\quad B = -\frac{\partial G}{\partial q}, \tag{35}

was sich wiederum zu

qQ=q+εGp,pP=pεGq,(36)q\longrightarrow Q = q + \varepsilon \frac{\partial G}{\partial p}, \quad p\longrightarrow P = p - \varepsilon \frac{\partial G}{\partial q}, \tag{36}

vereinfachen lässt. Beide Transformationen lassen sich umschreiben zu:

Qqε=Gp,Ppε=Gq(37)\begin{align*} \frac{Q-q}{\varepsilon} = \frac{\partial G}{\partial p},\quad \frac{P-p}{\varepsilon} = - \frac{\partial G}{\partial q} \end{align*} \tag{37}

Betrachtet man infinitesimale Transformationen, d.h. den Grenzwert ε0\varepsilon\rightarrow0, erkennt man zwei Ableitungen nach dem Parameter ε\varepsilon:

Qε=Gp,Pε=Gq.(38)\frac{\partial Q}{\partial\varepsilon} = \frac{\partial G}{\partial p},\quad \frac{\partial P}{\partial\varepsilon} = - \frac{\partial G}{\partial q}. \tag{38}

Vergleicht man das mit den Hamilton-Gleichungen Gl. 4, sieht man schnell, dass beide eine identische Struktur haben. Betrachtet man z.B. als Parameter ε\varepsilon die Zeit tt, entspricht Gl. 38 den ursprünglichen Hamilton-Gleichungen genau dann, wenn man als erzeugende Funktion GG die Hamilton-Funktion wählt. Mit anderen Worten, die Hamilton-Funktion “erzeugt” die zeitliche Entwicklung des Systems; die “Bewegung” ist also in gewisser Weise eine kanonische Transformation. Wählt man andererseits als Erzeugende den Impuls, sieht man sofort, dass

qq+ε,pp,(39)q\longrightarrow q + \varepsilon, \quad p\longrightarrow p, \tag{39}

was einfach einer Translation entspricht.

Zusammenfassung

Mit kanonischen Transformationen wechselt man zwischen Phasenraumkoordinaten, die die Bewegungsgleichungen des Systems und die Wirkung unangetastet lassen. Manche Koordinatenwahlen, die durch kanonische Transformationen konstruiert werden, zeigen besondere Eigenschaften der Systeme auf, aber alle kanonischen Koordinatenwahlen sind in der Lage, das System sinnvoll zu beschreiben. In einer gewissen Weise ist eine Intuition in der Koordinatenwahl nicht mehr notwendig, und man kann etwas Wahres über die Dynamik eines Systems aussagen, ohne an eine Koordinatenwahl gebunden zu sein.

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