In der Hamiltonschen Mechanik ist der Phasenraum die Arena, in der sich die Dynamik eines physikalischen Systems abspielt. Messgrößen bzw. Observablen, die das System charakterisieren, lassen sich durch Funktionen auf diesem Phasenraum modellieren. Während sich die Koordinaten und Impulse aufgrund der Hamilton-Gleichung zeitlich ändern, benötigt man für die Zeitentwicklung solcher Phasenraum-Funktionen eine spezielle Bewegungsgleichung, die ein besonderes mathematisches Werkzeug benutzt: Die Poisson-Klammer.
Definition und Eigenschaften
Mathematisch handelt es sich bei der Poisson-Klammer um einen alternierenden, bilinearen Differentialoperator, der auf dem Phasenraum definiert ist. Betrachtet man ganz allgemein ein System mit s Freiheitsgraden, ist die Poisson-Klammer für zwei Phasenraum-Funktionen f(qk,pk,t) und g(qk,pk,t) definiert durch
{f,g}=k=1∑s(∂qk∂f∂pk∂g−∂pk∂f∂qk∂g),(1)
wobei qk die verallgemeinerten Koordinaten, pk die kanonisch konjugierten Impulse und t die Zeit bezeichnen. Im physikalischen Kontext entsprechen f und g meist Observablen des Systems. Als innere Verknüpfung auf dem Phasenraum ist die Poisson-Klammer selbst wieder eine Phasenraum-Funktion.
Differentialoperator
Ähnlich wie Funktionen Abbildungen zwischen Zahlenmengen sind, ordnen Operatoren Funktionen anderen Funktionen zu. Die Besonderheit bei Differentialoperatoren ist, dass die jeweilige Bildfunktion Ableitungen nach einer oder mehreren Variablen enthält (hier nach q und p). Die Poisson-Klammer als Differentialoperator hat dabei zwei bestimmte Eigenschaften: Antisymmetrie und Bilinearität, außerdem eine spezielle Produktregel und die Jacobi-Identität.
Antisymmetrie
Es ist aus der Definition direkt ersichtlich, dass die Poisson-Klammer alternierend bzw. antisymmetrisch ist, d.h.
{f,g}=−{g,f}.(2)
Bilinearität
Seien f,f′,g Funktionen auf dem Phasenraum, und λ∈R. Dann gilt:
Darüber hinaus erfüllt die Poisson-Klammer die Jacobi-Identität, d.h.
{f,{g,h}}+{h,{f,g}}+{g,{h,f}}=0,(6)
die aus einer etwas länglicheren, aber einfachen Rechnung folgt.
Leitet man die Poisson-Klammer partiell nach der Zeit ab, erhält man mithilfe der Produktregel und der Vertauschbarkeit der partiellen Ableitungen den folgenden Ausdruck:
∂t∂{f,g}={∂t∂f,g}+{f,∂t∂g}.(7)
Fundamentale Poisson-Klammern
Aus den partiellen Ableitungen der Koordinaten und Impulse
Im letzten Abschnitt wurden die wichtigsten mathematischen Eigenschaften der Poisson-Klammer behandelt. Der folgende Abschnitt beschäftigt sich mit der Frage welchen Zweck sie in der Physik erfüllt. Dazu sei zunächst an die Hamilton-Gleichungen erinnert:
wobei im vorletzten Schritt die kanonischen Gleichungen zum Einsatz kamen.
Koordinaten und Impulse sind selbst Phasenraum-Funktionen, sodass sich übrigens auch die Hamilton-Gleichungen als Poisson-Klammern schreiben lassen können:
Weil die Hamilton-Funktion üblicherweise als Energie eines Systems interpretiert wird, lässt sich damit ein Ausdruck für die Energieerhaltung gewinnen. Für eine nicht-explizit zeitabhängige Hamilton-Funktion H(q,p) gilt nämlich:
dtdH=∂t∂H+{H,H}={H,H}=0(13)
wobei im letzten Schritt die Antisymmetrie der Poisson-Klammer ausgenutzt wurde.
Damit lässt sich die Frage nach der Erhaltung einer physikalischen Größe leicht beantworten: Ist die zugehörige Phasenraum-Funktion f nicht explizit zeitabhängig, gilt:
f erhalten⇔{f,H}=0.(14)
Im Allgemeinen hat man es allerdings mit Phasenraum-Funktionen zu tun, die explizit von der Zeit abhängen. In diesem Fall erlaubt eine ähnliche Definition wie : Eine zeitabhängige Phasenraum-Funktion f ist eine Erhaltungsgröße oder auch Integral der Bewegung genannt, wenn gilt:
∂t∂f=−{f,H},(15)
weil unter diesen Umständen die totale Zeitableitung der Funktion verschwindet. Integrale der Bewegung sind nützliche Werkzeuge, weil sie es ermöglichen, Eigenschaften der Bewegung abzuleiten, ohne dabei die unter Umständen sehr komplizierte Bewegungsgleichung zu lösen.
Das Poisson Theorem
In der Physik begegnet man immer wieder dem Drehimpuls l=(lx,ly,lz), ein typisches Beispiel für eine Erhaltungsgröße. Will man beispielsweise die Poisson-Klammer von lx und ly bestimmen, stößt man auf ein interessantes Ergebnis:
Die Poisson-Klammer von zwei Drehimpulskomponenten entspricht also exakt der dritten Komponente. Mehr noch: Wenn bereits bekannt ist, dass alle drei Drehimpulskomponenten Erhaltungsgrößen sind, dann ist es auch die Poisson-Klammer von zwei von ihnen.
Wie sich herausstellt, gilt diese Beobachtung für jedes beliebige Integral der Bewegung: Das unter dem Namen Poisson-Theorem bekannte Resultat besagt, dass die Poisson-Klammer von zwei beliebigen Integralen der Bewegung wieder ein Integral der Bewegung ist.
Der Beweis beginnt zunächst für zwei nicht-explizit zeitabhängige Integrale der Bewegung f und g mit der Jacobi-Identität für h=H:
{H,{f,g}}+{f,{g,H}}+{g,{H,f}}=0.(17)
Passend umgeformt besagt sie:
{{f,g},H}={f,{g,H}}+{{f,H},g}.(18)
Da per Annahme {H,g}=0 und {H,f}=0 gilt, folgt {H,{f,g}}=0, und deshalb mit Gl. 14, dass auch {f,g} ein Integral der Bewegung sein muss.
Seien f und g nun explizit zeitabhängig. Nach Gl. 13 folgt dann:
dtd{f,g}=∂t∂{f,g}+{{f,g},H}(19)
Ersetzen der beiden Summanden durch Gl. 7 zusammen mit der Jacobi-Identität ergibt:
Hieraus folgt unmittelbar die zu zeigende Aussage, weil nach Voraussetzung
dtdf=0,dtdg=0(21)
gilt. Somit ist in beiden Poisson-Klammern ein Argument gleich Null, also auch die beiden Poisson-Klammern und es folgt:
dtd{f,g}=0.(22)
Literaturverzeichnis
Einen ersten Überblick bietet das Vorlesungsskript von Arthur Hebecker zur Theoretischen Physik 2 (Stand 2021); ausführlichere Darstellungen finden sich in [1] und [2].